STERNENSUCHT

von Michael Masberg


Irgendwann in der letzten Nacht fand ich mich neben einem Raumfahrer wieder. Wir kamen eher zufällig ins Gespräch, als wir auf unsere Getränke warteten.
»Ich sollte nicht hierbleiben«, sagte er. Ob zur Eröffnung oder später, habe ich vergessen.
Er sah nicht aus wie der klassische Raumfahrer, aber man erkannte ihn sofort als einen. Er verschwand vollständig hinter seinem Anzug. Unter der Maske aus Schläuchen, Drähten und spiegelnden Flächen, die seine Stimme dumpf und geschlechtslos machte, hätte sich ein Rieseninsekt verbergen können oder ein gequetschter Oktopus, aber ich ließ mich in dem Glauben, mit einem Menschen zu sprechen.
»Ich sollte nicht hierbleiben.«
Ich verstand ihn falsch, beschwichtigte ihn, dass dies eine sehr tolerante Party sei und er keine Anfeindungen zu befürchten hätte, geizte aber gleichzeitig nicht mit Vorschlägen, wo sich die Nacht noch gut verbringen ließe.
»Ich rede nicht von Partys. Ich rede von Sternen.«
Es bestand kein Zweifel: Er war wirklich ein Raumfahrer. Ich fragte ihn, ob er auf dem Sprung sei, da er diesen Anzug trug. Zum Tanzen schien er mir nicht geeignet.
»Ich bin immer auf dem Sprung. Das einzige, worauf man sich bei mir verlassen kann, ist meine Unbeständigkeit.« Er legte den Kopf in den Nacken. Obwohl mir seine Augen verborgen waren, wusste ich um seinen Blick, der die Decke über uns und den Himmel darüber auflöste.
»Es gefällt mir hier. Aber was mich hier hält, stößt mich ab. Daher werde ich gehen.«
Ich spendierte eine Runde Schnaps, schon aus Neugier, wie er ihn mit der Maske trinken würde oder ob er sie dafür abnehmen müsste. Er behielt sie auf. Es war wirklich in bizarrer Anblick.
»Immer zieht es mich zu den leuchtendsten Sternen, die von ihrer eigenen Helligkeit verzehrt werden. Zu den tanzenden Eskalationslichtern am Himmel. Einmal warf man mir vor, ich ergötze mich an ihrem Sterben, aber das stimmt nicht. Ihr Vergehen ist nur die Konsequenz ihres leuchtenden Lebens.«
Mir kam das sehr anstrengend vor, und das sagte ich auch. Die weiten Reisen durch das All, um der Lichtspur ferner Sterne zu folgen, all die Gefahren und Enttäuschungen.
»Die Lüge hält mich am Leben. Die Lüge, im Licht der sich verzehrenden Sterne Frieden zu finden.«
Während ich ihn fragte, woher er den Anzug hatte, lenkte etwas meine Aufmerksamkeit auf die Tanzfläche. Eine flüchtige Begegnung mit zwei Augen, von der Menge verschlungen, bevor der Blick sich verfangen konnte.
»Dieser Anzug hält mich zusammen. Die Sterne verzehren auch mich. Ihre Strahlung, die ein allfarbiges Leuchten in die Himmel malt, brennt das Leben aus meinem Körper.« Er machte eine Pause und drehte verlegen an den Rädchen seines Anzugs. »Es ist eine Sucht.«
Aus dem Flaschenhals floss der letzte Schluck Bier in meine Kehle. Ein Ohr war bei dem Raumfahrer, beide Augen schwebten über die Tanzfläche, glitten in jede Lücke, und suchten nach dem Blick, in dem sie sich wiedererkannt hatten.
»Immer wieder entsage ich ihr. Ich versuche mich an anderen Sternen. An einem milden Licht. Für eine Zeit finde ich Frieden. Aber auch das ist eine Lüge. Ich sehne mich nach dem Verderben.«
Das Licht glitt über die tanzenden Nachtgestalten und hielt plötzlich über einem Gesicht inne. Leuchtende Augen begegneten meinen, Augen, die ich gesucht hatte und denen ich ansah, dass sie meine gesucht hatten. In solchen Situationen sollte man es nicht bei einem Lächeln belassen.
»Ich wandere zwischen den Sternen. Ich wandere zwischen den Lügen. Der Lüge, im Verderben das Glück zu finden. Und der Lüge, im Glück das Verderben zu sehen.«
Ich zuckte mit den Schultern. Das Gespräch war mir entschieden zu persönlich geworden. Daher sagte ich, er solle am besten zwischen den Sternen bleiben, wenn er sich nicht entscheiden könne.
Seine verborgenen Augen sahen mich an oder nicht. Er sagte noch etwas, das ich nicht mehr hörte. Ich war bereits wieder Teil der tanzenden, stampfenden Masse. ♦


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