Die subversive Kraft des Nicht-Virtuellen
Sam Greb verschlug es in das stARTcamp Ruhr York und wir folgten ihm. Es war nicht meine erste Begegnung mit der sozial-medialen Gemeinschaft: 2011 trat epikur hotel mit Theatermacher bei der stARTconference in Duisburg auf. Wieder lernte ich interessante Menschen kennen und führte inspirierende Gespräche. Auch wenn es manchmal einen etwas kauzigen Nerdfaktor hatte – aber auf eine charmante Weise, die ich sehr schätze. Und ich gehe schließlich auch auf Rollenspielveranstaltungen.
Beim Ausklang am Freitag im Oberhausener Gdanksa führte ich ein kleines Streitgespräch über das Für und Wider sozialer Medien und ihren Einfluss auf unser Kommunikationsverhalten. Ohne Frage verändert sich das Mitteilungsgebaren. Die spannende Frage ist, wie wir damit umgehen – auch aus künstlerischer Sicht.
Da ich sehr kritisch war, musste ich mir den Vorwurf annehmen, konservativ zu sein. Das höre ich eher selten. Nachdem ich etwas darüber nachdenken konnte, finde ich das allerdings nicht schlimm. Konservativ zu sein meint schließlich auch, etwas zu bewahren. Die virtuelle Revolution ist nicht aufzuhalten. Doch gerade angesichts dessen, dass virtuelle Parallelgesellschaften und der unmittelbare Austausch von Informationen mit erhöhter Schlagzahl unwiderlegbar Teil unseres Lebens sind, hat es einen hohen Wert, das unmittelbar Zwischenmenschliche einer realen Begegnung zu bewahren.
Wenn die Aufmerksamkeitsspannen kürzer werden, ist die Entschleunigung eine Revolution. Das Analoge wird subversiv.
Kunst hat einen Mehrwert, wenn sie gesellschaftliche Prozesse begleitet und reflektiert. Dazu kann sie Trends vereinnahmen – etwa, wenn das Theater den Film als erzählerisches und künstlerisches Mittel nutzt. Sie kann aber auch einen Gegenentwurf aufzeigen und sich bewusst bestimmter Mittel verweigern. Das kann schnell als Modernitätsverweigerung ausgelegt werden, ist letztlich aber eine Frage, wie man es einsetzt. Das unbedachte Nachjagen technischer Trend, bei dem man seine eigenen Stärken leichtfertig über Bord wirft, kann ebenso schädlich sein wie eine unreflektiere und bornierte Verweigerung. Weder das eine noch das andere halte ich für erstrebenswert.
Solange man sich mit gegenseitigen Respekt begegnet, wird das Analoge nicht durch das Digitale entwertet. Mehr noch, das Nicht-Virtuelle kann durch die fortschreitende Digitalisierung aufgewertet werden. Es ist ein Angebot der Entschleunigung, eine Einladung des Greifbaren, um für bestimmte Zeit aus der Taktung einer vernetzten Welt zu treten. Und vielleicht mag es gerade dadurch nützlich sein, die eigenen Umstände zu reflektieren.
Sam Greb ist gewissermaßen anachronistisch. Letztlich machen er und sein treuer Gefährte nichts anderes, als die Sache auf ihren Kern herunterzubrechen: eine Geschichte, die vorgelesen wird, von Angesicht zu Angesicht. Eigentlich ganz simpel. Doch durch die mediale Allgegenwärtigkeit unserer Zeit ist es plötzlich subversiv.
Ich mag das Subversive. Und ich freue mich – für Sam, das Theater, Museen und die Kunst an sich –, wenn die Menschen weiterhin bereit sind, ihre Zeit auch dafür aufzubringen, etwas zu bewahren, das auf dem ersten Blick nicht mehr zeitgemäß erscheint.
Mir gefällt die Vorstellung, dass ich nichts von diesem ‚Streitgespräch‘ mitbekommen habe, obwohl ich dir am Tisch direkt gegenüber saß. Mir gefällt, dass ich mit meiner Tischnachbarin so intensiv in ein anderes Thema eingetaucht war, dass wir uns in einer eigenen Gesprächsglocke befanden. Und mir gefällt, dass wir uns dennoch in anderen Gesprächen wieder gefunden haben. Wenn ich mitdiskutiert hätte, hätte ich wohl die These vertreten, dass sich ‚analog‘ und ‚digital‘ nicht gegenüberstehen, sondern ergänzen. Dass das Analoge hoffentlich immer bestehen bleiben wird, dass eben nicht ständig Diskussionen geführt werden, sich für das eine oder das andere entscheiden zu müssen bzw. das eine oder das andere zu verdammen, eines als fortschrittlich zu bezeichen, das andere als sich-dem-Fortschritt-verweigern. Ich wäre so gar nicht auf die Idee gekommen die Begriffe ’subversiv‘ und ‚konservativ‘ mit dem analogen Zusammentreffen und Kommunizieren zu assoziieren, ‚menschlich‘ wäre meine Wortwahl.
Für mich war dieser ‚analoge‘ Freitagabend die perfekte Abrundung eines ‚digitalen‘ Tages! Hat mich gefreut den Menschen hinter Sam Greb kennenlernen zu dürfen!
Liebe Claudia!
Die Freude war ganz unsererseits.
Die kleine Meinungsverschiedenheit entzündete sich eigentlich auch an etwas anderem, nämlich an der Frage, ob man permanent erreichbar sein muss und wann man einfach mal aus der vernetzten Kommunikation austritt. ‘Gerätefreier Tag’ war so ein Schlagwort oder meine Haltung, dass ich kein schlechtes Gewissen habe, wenn ich mal nicht meine Emails checke – wie am Freitag, an dem ich gegen Mittag das letzte Mal in mein Postfach geschaut habe und dann erst wieder am Samstag.
Es ging dann weiter mit der Frage, ob eine eingehende Twitter-/Facebook-Nachricht gleichwertig ist, mit einer real anwesenden Person, die gerade den Raum betritt. Auch hier waren wir unterschiedlicher Auffassung.
Das alles war letztlich die Initialzündung für mich, weiter darüber zu reflektieren, wie die neue Kommunikation unser Verhalten beeinflusst – und wie Kunst sich dazu positionieren kann. Mich beschäftigt das natürlich immer mit Blick auf das Theater, das neben allem und sehr wichtigem Unterhaltungswert auch immer gesellschaftliche Prozesse spiegelt / spiegeln sollte; in dem es sie zitiert, kritisiert, überzeichnet oder auch Alternativen aufzeichnet.
Ich mag zwar konsequente Entscheidungen, aber keine extremistischen Haltungen. (Nota bene: In der Auseinandersetzung sind solche sich letztlich nicht begegnet, dafür bin ich zu sehr für das Digitale zu begeistern und mein geschätzter Freund für das Analoge.) Kein “alles muss permanent digital vernetzt sein”, kein “die permanente Vernetzung ist der Teufel“. Daher bin ich ganz bei dir, dass sich beides ergänzen kann – sowohl im einvernehmlichen wie sich gegenseitig reflektierenden Zusammenspiel.
Beste Grüße, auch von Sam!
Michael
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