Kultur kostet. Und oft ist es eine Investition, die sich nicht mit barer Münze gegenrechnen lässt. Kultur ist ein immaterielles Gut. Wir leisten sie uns, weil sie unser Leben bereichert, zum Nachdenken anregt oder schlicht unterhält. Je vielseitiger das Kulturangebot ist, desto bunter wird unser Leben.

In Mülheim an der Ruhr kostet Kultur zu viel. Wie in vielen anderen Städten, nicht nur im Ruhrgebiet, muss gespart werden, auch wenn man dort so viele Millionäre wohnen hat wie kaum in einer anderen Stadt. Es ist das alte Lied: Wenn gespart wird, muss auch bei der Kultur gespart werden – mitunter als erstes. Auch wenn die Kulturinstitutionen oft ohnehin schon kurz vor dem Existenzminimum ihr Überleben bestreiten: Es beschweren sich am Ende ohnehin nur ein paar Kulturschaffende. Und wirtschaftliche Gründe sind schnell gefunden, gerade bei Einrichtungen, die man eigentlich subventioniert, damit sie nicht zwingend und ausschließlich wirtschaftlichen Zwängen im künstlerischen Schaffen unterworfen sind.

Der Ringlokschuppen ist bedroht!  Vielleicht von der Schließung, in jedem Fall von der Umstrukturierung. 400.000 € fehlen dem Trägerverein Kultur im Ringlokschuppen e.V., dessen finanzielle Lage seit der Gründung 1995 stets prekär war. Zwar leistet die Stadt einen jährlichen Zuschuss von 555.000 €, doch alleine die Betriebskosten übersteigen diese Summe seit längerem.

Nun sind der kaufmännische Geschäftsführer Peter Krause und der künstlerische Leiter Holger Bergmann zurückgetreten, um den Weg für einen Neuanfang frei zu machen, den immerhin der langjährige Dramaturg Matthias Frense mitgestalten wird.

Dennoch: Diese Nachricht kommt einem kulturellen Erdbeben gleich.

Ein persönlicher Verlust

Ich kenne den Ringlokschuppen sehr lange. Meine zweite Regieassistenz verdanke ich dem Schuppen. Über zehn Jahre ist es her, die Produktion hieß Being Jekyll & Hyde und fand im Rahmen einer von Ringlokschuppen organisierten Off-Triennale am Rande der Ruhrtriennale statt – auf einem damals ungenutzten Parkdeck der Bermudadreieck-Parkhauses in Bochum. Es war unter anderem diese Erfahrung, die meine Neugier begründete, Theater außerhalb des geschützten Rahmens einer Theaterbühne zu machen.

Jahre später bot ich Holger meine Oberhausener Inszenierung von Messer in Hennen, die aufgrund des Intendantenwechsels abgesetzt wurde, als Gastspiel an. Matthias und er lehnten sie ab, meine Arbeit passte nicht zum Programm des Schuppens. Es war ein ehrliches Feedback, eine konstruktive Kritik, die ich im ersten Moment natürlich verdauen musste, die mich rückblickend jedoch weitergebracht hat.

2011 klappte es doch mit dem Schuppen. Mit epikur hotel | theater.raum.bild. realisierten wir mit Good to know if I ever need attention all I have to do is die ein Triptychon aus Ausstellung, Videoinstallation und Theater im Rahmen des Stadtspiels Schlimm City in einem leerstehenden Kaufhaus in der Mülheimer Innenstadt. Ich erinnere mich an eines dieser intelligenten Gespräche mit Holger über kulturelle Zwischennutzung und die Notwendigkeit reflektierender, integrativer Theaterkunst im öffentlichen Raum – gerade in Zeiten städtischen Niedergangs. Und an seine Klage darüber, dass die Subventionen gerade zur Aufrechterhaltung der Infrastuktur reichen, damit aber noch kein Künstler entlohnt ist.

In all den Jahren habe ich Holger als einen idealistischen Menschen schätzen gelernt. Er ist aufrichtig und entschieden in seinen Postionen, kann jedoch aufmerksam zuhören – eine seltene Gabe! – und bleibt auch in hitzigen Diskussionen höflich und sachlich. Es geht ihm nicht um eine bestimmte Auslegung der Kunst, er ist ein politisch engagierter Gestalter. Und dieser Gestalter wird der Kulturszene im Ruhrgebiet mit seinem Rücktritt fehlen.

Ein kultureller Verlust

Der Ringlokschuppen hat über Jahre allen Widrigkeiten getrotz und ist zu einer besonderen Kulturinstitution im Ruhrgebiet geworden. Mit seinem mutigen, teils sicherlich auch sehr speziellen Programm setzt er Akzente im Ruhrgebiet und bietet neuen, experimentellen Theaterformen eine Plattform, die nur schwer zu ersetzen wäre. Ob nun als Spielstätte für Festivals wie die Impulse oder das Shiny Toys, mit seinen jährlichen Stadtspielen, in Kooperationen mit anderen Institutionen wie dem Theater Oberhausen oder als Bühne für zahlreiche junge Theatergruppen, freie Kollektive oder angehende Theatermacher ist der Ringlokschuppen besonders. Würde er diesen Charakter bei der Neuausrichtung verlieren, wäre dies ein schwerer Verlust für eine lebendige und vielseitige Kulturszene.

Es ist zu hoffen, dass das neue Konzept nicht zu sehr in wirtschaftliche Zwänge gepackt wird. Dass in Mülheim der Mut besteht, sich Kultur etwas kosten zu lassen.

Nachtrag: Mittlerweile wurde eine Onlinepetition zur Rettung des Ringlokschuppens gestartet. Ich bitte euch, diese zu unterzeichnen. Danke!