Fünf wie Vier – nur anders schlimm?
Für alle, die um meine Leidenschaft für Das Schwarze Auge wissen, dürfte die Überschrift bereits mehr Sinn machen als für alle anderen. Für alle anderen ist dieser Artikel vielleicht auch nicht so interessant.
Es wird um das Rollenspiel Das Schwarze Auge gehen, seine im letzten Jahr erschienene fünfte Regeledition (kurz DSA5), die lange überfällig die Vorgängeredition DSA4.1 abgelöst hat – und um meine wachsende, kritische Haltung zu der neuen Edition. Denn je weiter die Umsetzung voranschreitet und weitere Schritte angekündigt werden, desto mehr verliere ich meinen Bezug zu dem Spiel. Es folgt jedoch keine geifernde Polemik, bei der ich mit dem Finger auf die Redaktion zeige und ihnen mit Schaum vor dem Mund ihre Fehler vorhalte – sorry! Ich versuche, meine eigene Haltung zu reflektieren.
Daher möchte ich vorweg eine Liebeserklärung stellen: Ich liebe dieses Spiel, mehr noch seine Welt. Das hat letztlich dafür gesorgt, dass ich trotz wiederholter Ankündigung, mich zurückzuziehen beziehungsweise kürzer zu treten, immer wieder und immer noch für Das Schwarze Auge schreibe. Und letztlich ist man als DSA-Spieler – gerade in Hinblick auf die Regeln – leiderfahren. Letztlich arrangiert man sich immer damit und irgendwie gilt immer: Man spielt DSA nicht wegen seiner Regeln.
Ich habe in den letzten Wochen viele Diskussionen in einschlägigen Foren verfolgt und mich teilweise daran beteiligt. Daher weiß ich, dass die Designentscheidungen des neuen Regelwerks den Nerv vieler Leute treffen, es aber auch viele kritische Stimmen gibt, von denen nicht wenige ihre Unzufriedenheit äußerst angenehm und konstruktiv diskutieren. Ich selbst war von DSA5 anfangs sehr angetan. Doch diese Begeisterung schwindet. Seit Tagen beschäftige ich mich mit der Frage: Warum?
In Vorbereitung dieses Artikels habe ich einen offenen Brief hervorgeholt, den ich 2012 an die Redaktion geschrieben und in dem ich meine damaligen Wünsche für ein neues Regelwerk benannt habe. Das Fazit war:
»Wenn ihr eines Tages über eine neue Regeledition nachdenkt, denkt es bitte wieder erzähl– und einsteigerfreundlicher, moderner wie klassischer gleichermaßen – und vor allen zugänglicher.«
In eine ähnliche Richtung gingen die Designziele, als schließlich tatsächlich mit der Arbeit an einer neuen Edition begonnen wurde. Mit dem Erscheinen des Regelwerks war man diesen Zielen auch näher gekommen als befürchtet. Was stört mich also? Es ist vor allem das, was seitdem geschieht, das mich von DSA5 entfremdet.
»Nimm dir das, was du brauchst – und noch ein bisschen mehr.«
Die Prämisse von DSA5 lautet: Man braucht nur das Regelwerk und den Aventurischen Almanach, um alles spielen zu können. Sämtliche weitere Regelpublikationen sind optional. Sie erweitern das Regelwerk um sogenannte ›Fokusregeln‹ in zwei Abstufungen, über deren Verwendung jede Gruppe entscheiden kann. Sollten für spätere Abenteuer bestimmte Fokusregeln elementar sein, werden diese in den Abenteuern enthalten sein, so dass man weitere Regelbücher nicht zwingend braucht.
Das klingt soweit erst einmal gut: ein modulares System, das man ganz nach den eigenen Bedürfnissen zusammenbauen kann. In der alten Edition ist der Regelexzess ausgeartet, dass es fast absurd wurde. Dazu schrieb ich 2012:
»Wem erweisen wir wirklich einen Gefallen, wenn alleine Wege der Helden, Wege des Schwerts, Wege der Zauberei (das für sich in seinem Umfang schon eine Zumutung ist, schlicht beim Transport), Wege der Götter und Wege der Alchimie nebeneinandergestellt auf 12 cm Breite und über 1.500 Seiten Umfang kommen, die ich noch mal um 3 cm und 304 Seiten Liber Cantiones erhöhe? Dem neugierigen Neueinsteiger? Wohl nicht, gerade wenn man bedenkt, dass sich der Einstieg in das Rollenspiel meistens so gestaltet, dass eine Einzelne in eine bestehende Runde kommt. Und in denen wird selten mit Einsteigerregeln gespielt, da packt jeder gleich seinen Stapel an Büchern aus, so dass man sich Sorgen machen muss, zwischen den sich türmenden Werken noch die Süßigkeiten zu finden.«
Diese Aussage bezog sich auf die grundlegenden Bücher, das vollständige Regelwerk war um einiges umfangreicher. Die neuen Grundbücher decken zwar nicht das gleiche Spektrum in der Tiefe ab, dafür aber in der Breite. Mit seiner schlanken Prämisse kommt DSA5 damit deutlich attraktiver daher. Doch der Regelexzess scheint ein Fluch zu sein, der sich nicht so leicht abschütteln lässt. Denn welchem Weg scheint DSA5 mit seinen Fokusregeln gehen zu wollen? Einen Weg, der verschlungener ist als das Regeldickicht des Vorgängers.
Statt einem Magierregelbuch wird es (mindestens) zwei geben, ebenso wird es (bis jetzt) bei den Geweihten sein. Das Kompendium für profane Regeln erhebt ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gerade für die Freunde von todbringendem wie schützendem Heldenrüstzeug wird es einen Ausrüstungsband geben, der wiederum ebenfalls nur einen kleinen Ausschnitt bietet, da jede Regionalspielhilfe noch einen weiteren, regionsspezifischen Ausrüstungsergänzungsband spendiert bekommt (grob geschätzt: um die 25). Dass ich schon jetzt für ein grundlegendes Sammelsurium an Tieren, Kreaturen und gängigen Bewohnern Aventuriens in gleich drei Publikationen (Regelwerk, Aventurischer Almanach und Aventurisches Bestiarium) nachschlagen muss, führt eigentlich zur Frage, warum noch keine regionsspezifischen Kreaturenergänzungsbände angekündigt wurden. (Sollte diese Idee aufgegriffen werden, freue ich mich über Tantiemen.) Und während es durchaus charmant ist, dass der Meisterschirm seine eigenen Fokusregeln hat, wirft die Ankündigung zukünftiger mehrerer Meisterschirme mit unterschiedlichen Ergänzungsregeln sehr viele Fragen bei mir auf.
Jeder, der sich etwas mit der Materie beschäftigt, weiß, dass im Rollenspiel das Geld mit Regeln gemacht wird. Abenteuer werden einmal pro Runde gekauft, Regelbände tendenziell mehrmals. Je breiter das Angebot ist, desto mehr Bücher werden gekauft. Und da viele Rollenspieler zudem eine ausgeprägte Sammelleidenschaft haben, bedeutet ein mehr an Bänden folglich mehr Geld.
Nein, das ist nicht der alter Vorwurf, Ulisses will nur Kohle machen. Mir ist ein Verlag, der Gewinn macht, um seine Mitarbeiter, Autoren und Illustratoren zu bezahlen und auch perspektivisch noch Publikationen zu veröffentlichen, lieber als einer, der sich sehenden Auges in die Pleite bringt. Dennoch erscheint mir DSA5 schon jetzt wie ein Sammelkartenspiel: Wenn du alle Extras haben willst, musst du auch noch diese Ergänzung kaufen.
Natürlich ist alles explizit ein Angebot und jede Runde entscheidet selbst, mit welchem Detailgrad an Regeln sie spielen möchte. Während die einen mit den fünf Zuständen für Helden, die das Regelwerk bietet, zufrieden sind, fragen andere schon nach Fokusregeln, mit denen sie nachhalten können, wie müde ihre Abenteurer sind, oder diskutieren die Simulationstauglichkeit einer Fokusregel für Helden, die zu tief ins Glas geschaut haben.
Aber: Das Angebot ist da und beeinflusst dadurch das Spiel. Trotz der Definition, dass nicht alle Regeln benutzt werden müssen, wird das niemals vollständige, sich immer erweiternde Regelwerk eher über kurz als über lang detailversessener und regelbelasteter sein als DSA4.1 es je hätte sein können.
Die geopferte Übersichtlichkeit
Doch, was noch schlimmer ist: Da das System nie vollständig sein will, hat man sich gleich von der Übersichtlichkeit verabschiedet. Regeln können überall sein. Wenn ich ein vollständiges System haben möchte oder nur in einem bestimmten Bereich alles kennen will, brauche ich viele Bücher. Sehr viele. Wie oben bereits angeführt, erfordert bereits jetzt ein Basisquerschnitt an Kreaturen drei Bücher. Für Ausrüstungen werde ich über ein Dutzend brauchen. Im angekündigten Kompendium finde ich allerlei profane Regelergänzungen, die Fokusregeln für ein zünftiges Saufgelage mit anschließender Kneipenschlägerei finde ich jedoch im Meisterschirm I – was die weiteren Meisterschirme beinhalten werden, ist noch nicht abzusehen. Und während ich mich als Spieler noch auf das beschränken kann, was ich für meine Helden brauche (was auch nur funktioniert, wenn man kein breites Spektrum bespielt), muss ich als Meister damit leben, dass meine Spieler mit immer neuen Fokusregeln zum Spiel kommen, die ich mir entweder selbst zulege oder zumindest kopieren sollte.
Zwar sind Sammelbände im Sinne von Jahrbüchern angekündigt, die regelmäßig Regelerweiterungen zusammenfassen sollen, aber ich bin skeptisch, dass die zeitliche Sortierung den Verzicht auf eine überschaubare, thematische Sortierung kompensiert.
»Bedenke, was man brauchen könnte.«
Eine Hölle für Autoren
Vielleicht lasse ich mich durch etwas abschrecken, das meinen eigenen Spielbedürfnissen diametral entgegensteht. Doch ich möchte mein Hadern auch von der Seite des Autors beschreiben. Dazu zitiere zum Auftakt noch einmal mein Ich von 2012 mit meinen Gedanken zum damaligen Regelwerk:
»Dem Autor erweist man übrigens auch keinen Gefallen. Als einer davon will ich nicht murren, und ich erkenne fraglos an, dass es zur Aufgabe des bezahlten Schreiberlings, der Mietfeder, gehört, sein Abenteuer nicht nur der Erzählung unterzuordnen, sondern auch im Einklang mit dem Regelwerk zu verfassen. (Eine persönliche Verantwortung des Autors, die ich mir selbst erst aneignen musste, aber mittlerweile als gegeben akzeptiere.) Doch wie soll dies wirklich zu annähernd 100% gelingen? Selbst wenn es – wie bei mir – nicht dem eigenen Spielstil entspricht, wagen sich viele Autoren in die innersten Kreise der Regelverdammnis vor, recherchieren mutig, bis die sie umgebenden Bücherstapel das Licht verdunkeln, und müssen manchmal doch schier verzweifeln, weil sie in allen Zusatz– und Ausnahmeregeln, die sich manchmal bis in die Abenteuerbände hinein erstrecken, kein stabiles Fundament für ihre Erzählung finden, das nicht doch durch einen überlesenen Absatz abgetragen werden kann. Und innerlich hat man sich ohnehin schon mit einem gewissen Langmut darauf eingestellt, in Foren kritisiert zu werden, weil bei der Berechnung des PA-Werts ein kleiner Fehler unterlaufen ist und dieser einen Punkt niedriger ist, als er laut Regeln sein dürfte.«
Das wird schlimmer werden. Es ist zwar nett gesagt, dass man nur das Regelwerk und den Almanach zum Spielen brauchen soll, aber in der Praxis wird das scheitern. Selbst, wenn die erweiternden Regeln in den Abenteuern enthalten sein werden, wird eine Sache unterschätzt: Wenn eine Regel veröffentlicht wurde, wird erwartet, dass sie zum Einsatz kommt. Da kann man noch so die eigentlich richtige Meinung vertreten, dass die Verwendung von Fokusregeln in der Verantwortung der Spielrunden liegt – am Ende wird eine unvollständige Anwendung auf den Autor zurückfallen.
Die Abenteuer müssen letzten Endes so durchdacht sein, dass sie mit allen (zu diesem Zeitpunkt erschienenen) Fokusregeln funktionieren könnten, selbst wenn sie nicht direkt darauf referenzieren. Das ist ein nachvollziehbarer Anspruch. Schließlich hat irgendwo eine Runde einen speziellen Band gekauft und sich für eine spezifische Fokusregel entschieden. Da will man nicht feststellen, dass diese an relevanter Stelle gar nicht berücksichtigt wird, vor allem, wenn sie signifikanten Einfluss auf die Handlung haben kann.
Die Autoren werden recht bald vor einer sehr undankbaren Aufgabe stehen: Entweder berücksichtigen sie alles – und das wird ab einen gewissen Zeitpunkt einen viel heftigeren Mehraufwand als bei DSA4.1 bedeuten – oder sie nehmen in Kauf, etwas abzuliefern, das unvollständig ist. Die bequeme Haltung, dass Runden, die sich für bestimmte Fokusregeln entschieden haben, diese eigenverantwortlich berücksichtigen sollen, wird sich aus meiner Schreiberfahrung auf lange Sicht nicht zufriedenstellend erfüllen. Eine andere Möglichkeit, die Verantwortung für die Regeln im Abenteuer an die Redaktion abzugeben, ist wiederum eine vergiftete Lösung. Denn jeder Fehler, der hier passiert, wird dem Autor zum Vorwurf gemacht werden – ganz davon ab, dass ich viele Autoren kenne, die den Anspruch haben, ihre Geschichte im Einklang mit der Welt zu bringen, die letztlich von den Regeln definiert wird.
(Nota bene: Ich persönlich bin der Auffassung, dass die Regeln durch die Welt definiert werden sollten, aber das ist ein Thema für einen eigenen Artikel.)
Als Autor habe ich Hintergrundrecherchen immer geliebt und Regelrecherchen in Kauf genommen. Leider wird sich das nicht wie erhofft bessern, sondern die Bürde wird schwerer. Für viele phantastische Geschichten, die man auf und über Aventurien erzählen kann, sind die Grundregeln nicht ausreichend. Doch die richtige Ergänzung zu finden, wird zukünftig ein Abenteuer für sich sein.
Ich weiß, dass es viele Spieler und Runden gibt, die den neuen Ansatz goutieren. Und immerhin ist – bis jetzt; ich erlaube mir da ein gewisses Misstrauen – der Ansatz dahingehend umgesetzt, dass die Regeln in sich kompatibel bleiben. Bei DSA4 war dies anders, da hatte man mitunter das Gefühl, mehrere System gleichzeitig zu spielen. Die Kompatibilität der neuen Edition hingegen wird das Erlernen einfacher machen, praktikabel muss die Modularität dennoch nicht sein.
Vielleicht ist es ein Fluch des Mainstreams, es möglichst vielen Spielstilen recht machen zu wollen. Jede Runde kann sich aus einer wachsenden Anzahl an Möglichkeiten das Regelwerk zusammenbauen, das ihr am meisten liegt. Dafür muss man eine gewisse Beliebigkeit in Kauf nehmen. Als persönliches Fazit komme ich jedoch zu dem Schluss, dass sich Das Schwarze Auge als Spiel mit jeder regelseitigen Ankündigung mehr von mir entfernt. Statt schlanker wird es unübersichtlicher, statt vielseitig wird es beliebig. Die anfängliche Begeisterung droht zu verfliegen, das alte Vergnügen im Neuen wird zu einer alten Frustration.