Der gute Engor mit seinem Dereblick hat jüngst einen herrlichen Artikel geschrieben. Aufhänger war das Erscheinen des Soloabenteuers Legatin des Bösen, in dem der Spieler in die Rolle der berüchtigten Hochelfe und Erzschurkin Pardona schlüpft. Er fragte sich, welche Schurken von Format sich ebenfalls für ein Soloabenteuer eignen würden – ein Gedankenspiel, das kurz darauf die maraskanischen Freunde von Asboran unter der Überschrift Lasst und fies und solo sein! aufgriffen.

Da ich dieses Gedankenspiel großartig finde und mich im Rahmen meiner Romane ohnehin gerade mit der eher dunkleren Seite Aventuriens beschäftige, lasse ich mich von dem Ansatz inspirieren. Hier sind meine Favoriten für Schurkensolos und Soloschurken in der Welt des Schwarzen Auges.

Die Vorschläge der Anderen

Ein paar Anregungen der anderen haben mir so gut gefallen, dass ich sie gar nicht noch einmal ausbreiten, aber benennen möchte:

♦︎ Azaril Scharlachkraut (von Josch): Eine gefallene Heldin und eine der letzten Schurkinnen aus der Frühzeit des Schwarzen Auges. Intelligent, verschlagen, doch einem philosophischen Disput nie abgeneigt – sicherlich eine der schillerndsten und faszinierendsten Antagonisten im Figurenensemble. Zumal bei allen magischen Fähigkeiten vor allem ihr Verstand ihre gefährlichste Waffe ist.
♦︎ Iskir Ingibjarson (von Josch): Am Rande von Bahamuths Ruf durfte ich mich bereits eingehender mit dieser Figur beschäftigen. Mir gefällt die Tragik dieses Thorwaler Antagonisten, denn eigentlich glaubt er, das Richtige zu machen, ist nur völlig auf dem falschen Dampfer, pardon, der falschen Arche. Die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, erlauben zudem cthuloide Epik.
♦︎ Torxes von Freigeist (von Thorjin): Der zynische Schwarzschelm lädt ein zu einem Ritt des Irrsinns, der gleichzeitig ein bösartig-ironischer Kommentar auf die heile Welt der Helden sein kann – ganz so, als würde man das Tagebuch des Jokers lesen.
♦︎ Niam von Bosparan (von Engor): Ich liebe diese Figur! Die skrupellose Verbrecherfürstin mit Stil, vielleicht eines der gefährlichsten Wesen in Menschengestalt, die selbst einem gewissen Gossenmagier ordentlich Respekt einflößt. Wie schön, dass ich sie gerade in meinen Romanen behandeln darf.

Kommen wir nun zu meinen Vorschlägen, um diesen Schurkenreigen zu erweitern.

Al’Gorton – Der Meister der Jahre

Seit dreitausend Jahren wird das menschliche Vertrautentier der Skrechu stets aufs Neue wiedergeboren, um seiner unmenschlichen Herrin zu dienen, ihr auf dem ganzen Kontinent Nester anzulegen und schreckliche Mensch-Schlangen-Chimären zu schaffen – und in seiner jetzigen Inkarnation weiß er um seine frühren Leben. Zusammen mit seinem Selbstverständnis eines alttulamidischen Kophta macht ihn dies für mich zu einem aventurischen Ra’s al Ghul, der einen würdigen Gegner auch Respekt zollen kann. Und im Auftrag seiner Gebieterin kann er überall in Aventurien agieren. Schon lange ist Al’Gorton für mich der Erzschurke, dessen Potential am wenigsten genutzt wird.

Dass er als einziger Mensch das völlige Ausmaß der Pläne der Skrechu kennt und begreift, bietet einem Soloabenteuer um und mit ihm die Gelegenheit, auch die verborgene Heptarchin und ihre Beweggründe den Spielern nahezubringen. Durch seine früheren Inkarnationen sind Rückblicke in vergangene Jahrhunderte möglich, die so die Geschichte Aventurien erfahrbar machen.

Varessia – Die Golemmaid

Ein intelligentes Golemmädchen, das von einem lebenden Menschen kaum zu unterscheiden ist, für immer in den puppenhaften Körper einer Zehnjährigen gefangen – und das seine Beschränkungen überwinden will, um selbst künstliche Wesen zu erschaffen. In Varessia vereint sich der Forschungsdrang von Viktor Frankenstein mit der Tragik seiner Kreatur. Als Soloabenteuer bietet sich hier eine geradezu philosophische Horrorgeschichte an, die die Ruinenstadt Wehrheim als Setting nutzt. Nebenbei wird eine Schurkin ausgebaut, die in ihrer Tragik rührend ist.

Aschepelz – Vagabund zwischen den Welten

Der – noch vergleichsweise junge – Orkschamane wurde sterbend auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, überlebte und ist sich seitdem der Welt der Lebenden und der Geister gleichermaßen bewusst. Auch wenn er dem Aikar Brazoragh folgt, treibt er doch seine eigenen Pläne heran. Da die Zeit des Aikars zudem endlich ist, kann es nicht schaden, Aschepelz – der durchaus schon prominent in Publikationen vertreten ist – weiter auszubauen.

Hinzukommt, dass Aschepelz für mich nicht per se ‘böse’ ist – er ist schlicht der Heroe einer anderen Kultur. Und da die Orks in DSA5 ebenfalls spielbare Helden sein werden, kann man mit einem Soloabenteuer auf der Schwelle zwischen dem Diesseits und der Geistersteppe einen tieferen Einblick in die orkische Kultur ermöglichen.

Alderich von Notmark – Der machtgierige Graf

Das Warzenferkel
(von Björn Berghausen)

Eine halbelfische Sektenführerin, ein wiedergeborener Erzmagier, ein orkischer Schamane – nun noch ein profaner Antagonist: Graf Alderich von Notmark. Sein Vater, die alte Warzensau Uriel, war für mich eine besondere Figur der Frühzeit: kein Schwarzmagier oder Paktierer, kein Erwählter sterbender Götter, sondern schlicht ein tyrannischer Adliger, der aus dem Selbstverständnis eines absoluten Herrschers heraus agierte. Sein Sohn trat in die Lücke, die er hinterließ: ohne Maß und Skrupel, verroht, machtgierig, herrschsüchtig und schlau. Gleichzeitig ist er im Innersten über seine eigenen Unzulänglichkeiten verbittert, wofür er unter anderem seinen Vater verantwortlich macht – doch er kennt keine anderen Wege als Grausamkeit und Misstrauen, um damit umzugehen. Ein solch unberechenbarer Charakter ist prädestiniert für ein spannendes Psychogramm, das zeigt, dass das wahre Böse nur allzu menschlich ist.

Der unbekannte Schurke

Zu guter Letzt noch ein Favorit: der Schurke oder die Schurkin, die noch niemand kennt. Das Konzept der Antagonistensolos bietet sich auch dafür an, eine völlig neue Figur im Rahmen einer erspielbaren Origin-Geschichte in die Spielwelt einzuführen. Die Möglichkeiten hier sind so mannigfaltig, dass sie sich nicht einmal umreißen lassen. Doch gerade als Erweiterung zu den sonst üblichen Wegen (meist als Artikelserie im Aventurischen Boten, zusätzlich in der Romanreihe, auch wenn dies bisher nicht nennenswert genutzt wurde) sehe ich darin einen besonderen Reiz: Spieler können diesen Antagonisten bereits selbst durch ein Abenteuer geführt haben, bevor ihre Helden ihm überhaupt gegenüberstehen.

Ein Hoch auf die dunkle Seite!

Generell muss ich sagen, dass ich solche Konzepte sehr faszinierend finde, die Antagonisten spielerisch erfahrbar machen. Spieler erhalten einen spannenden Einblick in die Motivation und Entwicklung einer Figur, die sie sonst nur von Außen erleben (und können im maßvollen Rahmen vielleicht sogar Einfluss auf sie nehmen), während Autoren einem spannenden Charakter mehr Tiefe verleihen können, die über die üblichen paar Hundert Zeichen Kurzbeschreibung hinausgeht.

Inwiefern sich dieses Konzept bewährt oder ob es für den Verlag lohnend ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt, doch ich fände es spannend, ihm auch auf Aventurien eine Chance zu geben. Sollte ich jemals auf die Idee kommen, ein Soloabenteuer zu schreiben, dann ein solches. Bis dahin winke ich meinem schreibenden Mittäter Sebastian Thurau, aus dessen Feder ich ein solches Werk unbedingt lesen und spielen will.