Bücher haben ihre Eigenheiten und Launen. Ich kenne schreibende Menschen, die sich einen Plan zurechtlegen, und ihre Geschichte hält sich dann an diesen Plan. Dies löst neidlose Bewunderung bei mir aus. Wenn ich schreibe, verhalten sich meine Geschichten anders, eigensinniger und überraschender – kurzum: Sie halten sich nicht gerne an Pläne und Absprachen.

Da vor kurzem die zweite Auflage von Salon der Schatten erschienen ist und das Buch es jüngst auf die Longlist zum Deutschen Phantastik Preis 2017 geschafft hat (für den immer noch abgestimmt werden darf), möchte ich zurückblicken, was für eine Geschichte der Roman ebenfalls hätte erzählen können. Ich werde dabei nicht alle Spoiler vermeiden können, daher richtig sich dieser Artikel eher an Leute, die das Buch schon gelesen haben. Alle anderen können es jetzt nachholen und dann hierher zurückkehren.

Neben allen Wendungen, die die Geschichte während des Schreibens genommen hat, sind vor allem zwei ursprüngliche Versionen interessant, die sich teilweise recht deutlich von dem fertigen Buch unterscheiden. Doch vorher möchte ich einen Blick zurück auf die generelle Entstehungsgeschichte des Romans, der dann zwei Romane wurde, werfen.

Wie der Salon zusammenkam

Alles fing mit einem Satz in dem Roman Der Nabel der Welten an, der mich dann zu der Idee für ein weiteres Buch führte. Schon damals war der Arbeitstitel Salon der Schatten, etwas Besseres fiel mir auch später nicht mehr ein. In dem Urkonzept hatte der Roman keinen Bezug zur Splitterdämmerung, sondern war eine für sich stehende Erzählung um Schwarzmagier, Horror und übernatürliche Feinde. Es war mein guter Freund Daniel Simon Richter, der mehr daraus machte. Als ich ihm von der Idee erzählte, schlug er vor, die Geschichte mit der Splitterdämmerung zu verbinden.

Martin John sollte damals für Das Schwarze Auge einen Abenteuerband mit dem Titel Der Träumeschmied schreiben, und es war Daniels Idee, dass Salon der Schatten der Prolog zu dem Abenteuer werden sollte – in dem dann die überlebenden Salonmagier als Auftraggeber und fragwürdige Verbündete der Helden auftreten sollten. Dadurch sollte ein anderer als der üblichen Ansätze gefunden werden, bei denen meist die Kirchen oder ›guten‹ Reiche als Aufhänger herhalten müssen.

Salon der Schatten sollte den Schwarzmagiern einen triftigen Grund geben, gegen Yol-Ghurmak vorzugehen. Und auf dieser Grundlage entstand der erste eigentliche Entwurf zu dem Roman. Dieser änderte sich später radikal, als Martin das Abenteuer nicht schreiben konnte und wir entschieden, die Handlung in einem zweiten Roman fortzuführen. Doch der Reihe nach …

Zwischen Selem, Vinsalt und Yol-Ghurmak

Der erste Ansatz teilte sich bereits einige Aspekte mit dem späteren Roman, unterschied sich teilweise jedoch signifikant – und war natürlich noch unter der Prämisse entstanden, nur ein in sich geschlossenes Buch zu sein. Damals schon war es dreigeteilt, wobei jeder Teil jedoch durchgängig aus der Sicht einer Figur erzählt werden sollte: Laila Chirasir im ersten Teil, gefolgt von Sefira Alchadid und als Abschluss Gorodez Sgirra.

Eingeleitet wurde dieser Salon der Schatten durch einen Prolog in Selem, erzählt von Tubalkain dem Tausendjährigen, einem alterslosen Magier, der späteren Streichungen zum Opfer fiel. In diesem Prolog entdeckt er eine Unordnung in den Elementen und fordert bei Sefira Alchadid eine alte Schuld ein, damit sie dieser Sache nachgeht.

Dies war in dieser Version der Grund, warum Sefira nicht zum Treffen des Salons der Schatten reisen konnte. An ihrer Statt schickte sie ihre Meisterschülerin Laila. Diese Laila war eine andere, als die Leser von Salon der Schatten kennenlernen: viel unbedarfter, aber auch edler, ein entschiedener Gegenentwurf zu Figuren wie Niam, Gorodez oder Pôlberra. Zudem kommen – von Sefira abgesehen – wirklich alle Mitglieder der Versammlung zusammen, auch Rafim ibn Rizwan. Am Rande der Zusammenkunft häufen sich in Vinsalt brutale, übernatürliche Vorfälle, denen auch Arestas de Torreano zum Opfer fällt, woraufhin Rafim die Flucht ergreift – und sich verdächtig macht. Schließlich finden die Magier hinaus, dass eine dämonische Bestie Gorodez aus Yol-Ghurmak gefolgt ist, vermeintlich auf Weisung des Mechanikus’. Mit vereinten Kräften können sie der Kreatur eine Falle stellen und sie bannen. Doch Laila ist misstrauisch, stellt weitere Nachforschungen an und kommt einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur. Der erste Teil endet mit einem ähnlichen Twist wie in Salon der Schatten, nur aus Lailas Perspektive erzählt. Hierbei verdächtigt sie zuerst Pôlberra, den Salon zu hintergehen, doch als sie die Wahrheit erfährt, ist es bereits zu spät. Wir verlassen sie in einer bedrohlichen Situation, ohne ihr Schicksal vorerst zu erfahren.

Der zweite Teil wechselt neben der Perspektive auch den Ort des Geschehens. Wir erfahren, wie Sefira den Gefallen Tubalkains zu erfüllen hat – mit einer Queste in Yol-Ghurmak. Die alterslose Chimärenmeisterin ist in der Dämonenstadt unterwegs, findet Verbündete und macht sich Feinde, bis sie schließlich auf Spuren von Gorodez’ letzten Besuch stößt. Sie findet heraus, dass er ein Gefangener im Heptarchenpalast ist, befreit ihn in einer spektakulären Rettungsaktion und nimmt ihn mit sich nach Selem.

Der dritte Teil lüftet das Geheimnis, warum es scheinbar zwei Gorodez gibt. Einer davon, bis kürzlich Gefangener in Yol-Ghurmak, erzählt das letzte Drittel des Romans. Unter der Obhut Tubalkains – der nebenbei seine beschädigten Lungen austauscht – erholt er sich und bricht zusammen mit Sefira nach Vinsalt auf. Dort steht Niams Königreich bereits in Flammen. Gemeinsam mit ihr und einem unerwartet auftauchenden Pôlberra wenden sie sich gegen den eigentlichen Feind. Dabei lernen wir Lailas Schicksal kennen, die die Begegnung am Ende des ersten Teils nicht überlebte und einen letzten Auftritt als Untote hat.

Am Ende ist der verbleibende Salon der Schatten unter großen Opfern siegreich und beschließt, den Kampf zurück nach Yol-Ghurmak zu tragen. Damit wäre der Roman geendet, und dies wäre gleichzeitig der Auftakt für den folgenden Abenteuerband Der Träumeschmied gewesen. Doch dann kam alles anders.

Nahe dran und doch anders

Dadurch, dass Der Träumeschmied auf unbestimmte Zeit verschoben wurde und die Entscheidung fiel, dass er die Splitterdämmerung nicht mehr verhandeln sollte, sollte die Geschichte um Yol-Ghurmak im Roman weitererzählt werden – oder besser: in einem zweiten Roman. Ich zog mich erneut in die Schreibkammer zurück und überarbeitete das Konzept grundlegend. Dabei entschied ich, das erste Buch gänzlich in Vinsalt spielen zu lassen, wodurch der Sefira-Plot wegfiel.

Der neue Salon der Schatten teilte sich viel mit der vorherigen und der nachfolgenden, endgültigen Version. Es gab immer noch keinen Sorp Sanderwik und Laila war weiterhin eine andere. In dieser Fassung reiste sie gar zusammen mit Sefira nach Vinsalt, zeigte aber schon Anzeichen, sich im Schatten der Meisterin zu emanzipieren, da sie von Vielem ausgeschlossen wurde, das ihre Lehrerin mit ihren alten Verbündeten unter sich ausmachte.

Arestas spielte weiterhin noch keine große Rolle, außer der Vorherigen: der des Mordopfers, um durch seinen gewaltsamen Tod Zwietracht unter den Salonmagiern zu säen. Dafür gab es eine andere Figur, aus deren Perspektive die Handlung ebenfalls erzählt wurde: Festo ya Corsi, ein Ermittler der Connetablia Criminalis Capitalae, quasi ein Kriminalbeamter, der die unheimlichen Vorfälle in der Stadt untersuchte. Diese Figur reizte mich schon lange, aufgrund ihrer verschrobenen Eigenheit und des Umstandes, dass Festo seit einem Reitunfall eine Metallplatte am Hinterkopf trägt und von Visionen heimgesucht wird. Sein Schicksal schwankte mal vom glücklichen Überlebenden bis zum unglücklichen Opfer.

Doch so sehr dieses Konzept erst einmal Sinn machte, je mehr ich daran schrieb, desto mehr gefiel sich die Geschichte sich selbst nicht und mir immer weniger. Sefiras Anwesenheit überschatte Laila zu sehr, als dass sich die junge Magierin als eigenständige Figur entfalten wollte, zudem fehlte mir der richtige Kniff für Laila, der sie zu mehr machte, als einem hübsch anzusehenden Plot Device und einem narrativen Bauernopfer. Festo fügte sich ebenfalls nicht wie erhofft in die Handlung – das passiert, wenn man auf eigensinnige Figuren setzt. Zudem beanspruchte er für sich eine komplette Erzählperspektive, die letztlich nur für den ersten Roman relevant war. Zusammen mit Lailas immer noch geplanten Ableben bedeutete dies, dass zwei Drittel der Seiten aus der Sicht von Figuren geschrieben wäre, die im zweiten Buch nicht mehr aufgetaucht wären.

Von zwischenzeitlichem Frust niedergeschlagen, entrümpelte ich schließlich gründlich und kam zu dem Entwurf, der später zum Salon der Schatten werden sollte. Sefira und Rafim traten ebenso wie Festo aus der Handlung. (Letzterem gönnte ich allerdings eine wichtige Rolle in dem Abenteuer Die gehäutete Schlange und löste damit das Versprechen ein, ihn doch eines Tages zu schreiben.) Ich hielt an der Dreiteilung fest, verabschiedete mich aber davon, jeden Teil nur aus der Sicht einer Figur zu schreiben. Die Position der dritten Erzählperspektive nahm Arestas ein, der sich mir damit endlich als lebendige Figur erschloss. Und was aus Laila wurde, wissen die geneigte Leserin und der geneigte Leser natürlich bereits.

Es bleibt ein Buch zu schreiben

Während ich hier über die Vergangenheit schreibe, kreisen meine Gedanken um die Zukunft. Mit Schmiede des Verderbens wird die in Salon der Schatten begonnene Geschichte fortgeführt und abgeschlossen. Durch die Verzögerungen und die ungewollte Schreibpause schaue ich mittlerweile mit anderen Augen auf manches, das mir vor einem Jahr noch als gesetzt erschien. Es mag daher gut sein, dass ich eines Tages hier einen Artikel mit dem Titel Die andere Schmiede des Verderbens schreiben werde.