Vor kurzem habe ich darüber geschrieben, was ich zur Zeit spiele. Dabei warf ich einen Blick auf Humblewood. Heute möchte ich einen genaueren Blick auf “das Spiel mit den Eulen” werfen. Dabei geht es jedoch weniger um das Kampagnensetting an sich, sondern um meine Erfahrung mit einem der bekanntesten Rollenspiele der Welt: Dungeons & Dragons.

Als ich in den 1990ern rollenspielerisch sozialisiert wurde, hatte man – zumindest in meinem würfelnden Umfeld – eine Grundsatzentscheidung zu treffen: Spielte man Das Schwarze Auge (DSA) oder Dungeons & Dragons (D&D)? (Gut, ein paar spielten noch Midgard, aber das ist eine andere Geschichte.) Es war eine so grundsätzliche Frage wie “Marvel oder DC?”. Und ganz ähnlich belauerte man einander und scherzte übereinander. Aventurische Fans wurden für ihre Hotzenplotzigkeit belächelt, Verliese erkundende Abenteurer:innen galten gemeinhin als blutrünstige Murderhobos, die für Erfahrungspunkte alles niedermetzelten, was ihnen für die Klinge kam. Und ja, an allen Vorurteilen war (und ist) etwas dran.

Ich zählte zu den Hotzenplotzen, die ein Land erkundeten, in dem jeder Meilenstein in irgendeinem Buch beschrieben war. Und in dem Adelsspieler:innen in Briefen Hochzeiten fiktiver Figuren aushandelten, deren Vermählungen seitenweise in einer zweimonatlichen Gazette beschrieben wurden. Ja, auch damit habe ich meine Zeit verbracht.

Mein Erstkontakt mit D&D

Trotzdem hat mich dann und wann die Neugier gepackt und ich habe andere Systeme ausprobiert. So kam es um die Jahrtausendwende zu meinem ersten Kontakt mit D&D. (Es muss ⁄Advanced Dungeons & Dragons gewesen sein, wenn ich mich richtig erinnere.) Vielleicht hatte ich einfach Pech, doch dieses Erlebnis bestätigte alle meine Vorurteile: Die “Story” war eine endlose Abfolge von Kämpfen, Spielfiguren waren vor allem Klasse und Funktion (“Nein, das kannst du nicht spielen, wir brauchen noch einen Tank!”), und am Ende ging es um Erfahrungspunkte und Schätze. Die Aufgabe der Spielleitung schien vor allem darin zu bestehen, unsere Spielfiguren auf möglichst spektakuläre Art umzubringen. Und uns damit permanent darin zu erinnern, wie schwach sie eigentlich sind und dass wir viel bessere Ausrüstung brauchen.

Ich vermute, dass diese Art des Rollenspiels seinen Reiz haben kann. Und das ist fein, solange es für alle am Spieltisch funktioniert. Mir persönlich erschließt er sich jedoch bis heute nicht. Letztlich sorgte die Erfahrung dafür, dass ich mich D&D schlicht nicht mehr genähert habe – für fast 20 Jahre.

Der lockende Ruf der Eulen

Und dann kam Humblewood. Im Frühjahr 2019 startete die Finanzierung des Kampagnenbandes auf Kickstarter und sollte mit über 1 Million Dollar zu einer der erfolgreichsten Rollenspielkampagnen der Plattform werden. Ich selbst hatte erst etwas über ein halbes Jahr zuvor für mich entdeckt, dass es mir richtig Spaß macht, Geld in Rollenspiel-Crowdfundings zu werfen. Und das Konzept anthropomorpher Fantasy begeisterte mich. Mehr aber noch das phantastische Artwork. Hit Point Press bekam mein Geld und ich später das Buch. Und dann wanderte es erst einmal auf den Pile of Shame.

Doch da ich es schon einmal hatte, wagte ich einen neuen Blick auf D&D. Dieses befand ich mittlerweile in der fünften Edition. Positiv überrascht stelle ich fest, dass es sich sehr angenehm weiterentwickelt hatte, mit schlankeren Regeln und einen stärkeren Fokus auf das Narrativ. Das heißt nicht, dass es mich direkt überzeugte, es unbedingt zu spielen, doch mein Interesse war geweckt.

Jetzt kennt ihr diesen Teil meiner Lebensgeschichte, und ich kann zum eigentliuchen Thema kommen.

Meine Erfahrungen mit D&D5 (bis jetzt)

Von einem Oneshot abgesehen dauerte noch einmal fast zwei Jahre bis die Würfel im Wald rollten. Seit Anfang diesen Jahres leite ich die Kampagne aus dem Humblewood-Buch. Wir haben das erste von fünf Abenteuern nach drei kürzeren Sitzungen abgeschlossen. Ich beginne mit dem Setting: Humblewood ist toll! Die Kampagne beginnt recht klassisch, doch gerade das sorgt für ein Zero-to-Hero-Gefühl, dass ich lange nicht mehr hatte. Die tiergestaltigen Abstammungen sorgen für zusätzliche Farbe. Ein gockelgestaltiger Gallus-Barde, ein stacheliger Hedge-Druide und die fuchsgleiche Vulpin-Schurrkin (unsere Runde) sind per se anders als Menschen, Elfen und Zwerge und laden zu einem anderen Rollenspiel ein. Dies wird durch einen liebevoll gestalteten Hintergrund abgerundet, der gerade genug Details gibt, um die Phantasie anzuregen, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren.

Nachdem ich in letzten Jahren von regellastigen Systemen eher Abstand genommen habe, war ich als Spielleitung überrascht, wie flüssig sich D&D5 leitet. Zwar gibt es immer noch ein paar heilige Kühe wie die Klassen und durch Stufenanstieg sprunghaften Entwicklungen. Auch sind die Klassen für meinen Geschmack manchmal zu eigene Subsysteme, aber da ich die Details vertrauensvoll meinen Mitspielenden überlassen kann, stört mich das am schmalen Ende des Spieltischs weniger. Und unterm Strich sind die Grundmechaniken simpel und schnell verstanden.

Ich habe mir sogar gleich die Modifikation erlaubt, dass ich als SL gar nicht würfle. Das habe ich durch Systeme von Numenera über Powered by the Apocalype bis Invisible Sun so zu schätzen gelernt, dass ich hier nicht darauf verzichten wollte. Es macht das Spiel schneller und gibt mir die Freiheit, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: die Erzählung. Außerdem mag ich es, dass die Spieler:innen dadurch immer ihr eigenes (Un-)Glück schmieden. D&D5 erlaubt solche Eingriffe. Nach drei Sitzungen werde ich definitiv dabei bleiben.

Meine Regelmodifikation

Ganz simpel: Die Spielleitung würfelt nie. Alles wird von den Spieler:innen gewürfelt. Bei D6D5 lässt es sich wie folgt umsetzen:

  • Ersetzt die Rüstungsklasse der Spielfiguren durch eine aktive Parade. Subtrahiert 10 von der Rüstungsklasse und addiert das Ergebnis zu einem W20-Wurf. Beispiel: Eine Spielfigur mit Rüstungsklasse 14 hat eine aktive Verteidigung von W20+4.
  • Von der Spielleitung geführte Figuren behalten ihre Rüstungsklasse.
  • Die Spielleitung würfelt keinen Angriff, sondern legt einen festen Zielwert fest, den Spielfiguren mit ihrer aktiven Verteidigung schlagen müssen. Dieser Zielwert ist 11 + Angriffsmodifikator. Beispiel: Eine Mapach-Räuberin in Humblewood trifft im Nahkampf mit +3. Der Zielwert ihres Angriffs ist damit 14. Eine angegriffene Spielfigur muss mit ihrer aktiven Verteidigung 14 oder höher würfeln, um dem gegnerischen Hieb zu entgehen.
  • Würde eine von der Spielleitung geführte Figur mit Vorteil angreifen, verteidigt sich stattdessen eine Spielfigur mit Nachteil und vice versa.
  • Die Spielleitung würfelt keinen Schaden aus, sondern nimmt die (ohnehin schon vorgeschlagenen) festen Schadenswerte.

Wer Numenera und/oder das Cypher System kennt, erkennt meine Inspiration. Im Grund mache ich hier nichts anderes als Schwierigkeiten zu definieren statt zu würfeln.

Zwischenfazit

D&D5 macht mir mehr Spaß als ich erwartet habe, nicht zuletzt dank des großartigen Settings von Humblewood. Es ist eben doch nicht bloß ein Spiel für Murderhobos. (So wie in Aventurien eben doch nicht jeder Meilenstein beschrieben ist.) Wird es sich als ein wichtiges System für mich durchsetzen? Nein, das denke ich nicht. Vermutlich wird es mich über diese Kampagne hinaus weniger bis gar nicht mehr begleiten. Die Alternativen in meinem Bücherregal sind dafür schlicht noch mehr für meinen bevorzugten Spielstil gemacht. Trotzdem ist es schön zu erleben, wie sich nach zwei Jahrzehnten eine fürchterliche Erinnerung in ein schönes Erlebnis wandelt. Ich habe definitiv meinen Frieden mit D&D gemacht.