Es ist mal wieder an der Zeit, ein paar Worte zu meiner Arbeit an den Romanen Salon der Schatten und Die Weltmaschine zu verlieren. Trotz der paar Dutzend Publikationen für Das Schwarze Auge, auf die ich bereits zurückblicken darf, sind es gerade die Protagonisten dieses Doppelromans, die das Schreiben zu einer besonderen, neuen Erfahrung machen. In einem späteren Artikel werde ich auf die Antiheldenrolle dieser illustren Gestalten eingehen, doch zuerst möchte ich mich etwas anderem widmen.

Im Gegensatz zu Der Kreis der Sechs und Der Nabel der Welten hatten alle Hauptfiguren bereits ihre Auftritte in anderen Publikationen. Tatsächlich ist nur ein gewisser Gossenmagier meine eigene Kreation. Einige der anderen – hier sind etwa eine selbsternannte Königin und ein schlecht gelaunter Nekromant zu nennen – bereichern seit Jahrzehnten die Spielwelt, zu anderen gibt es wenig mehr als ein paar Sätze, doch auch diese haben sich andere Autoren ausgedacht.

Dies beeinflusst das Schreiben. Wenn alle Figuren die eigenen Schöpfungen sind, hat man ganz andere Freiheiten. Nun ist es eher so, als würde ich einen Run für eine langlebige Comicserie übernehmen: Die Figuren haben bereits eine Geschichte vor meiner Erzählung und zwar sowohl in der Gestaltung als auch in der Rezeption. Teils sehr unterschiedliche Autoren haben sie geschaffen, verwendet und weiterentwickelt und sie können zahlreichen Spielrunden bekannt sein, die wiederum ihre ganz eigenen Erfahrungen und Vorstellungen haben. Wenn man dies im Bewusstsein hat, verschiebt sich die Handhabung: Natürlich habe ich Ideen für die Figuren, aber ihnen gegenüber auch eine Verantwortung. Ich muss sie nicht nur im Kontext ihres Hintergrundes und meiner Erzählung betrachten, sondern zusätzlich auch im spielgeschichtlichen Zusammenhang.

Nun ist diese Erkenntnis nicht ganz neu für mich. Ich habe schon einige Abenteuer von – wie sagt man so schön – ‘hoher Metaplotrelevanz’ geschrieben, also solche, die eng mit der lebendigen Geschichte der Spielwelt verbunden sind, sie weitererzählt und geprägt haben. Auch dabei sind immer wieder Prominente durchs Bild gelaufen. Wenn ich eines dabei gelernt habe: Meine Lesart von langlebigen Figuren ist nicht ultimativ. Und sie funktionieren dann am besten für Leser, Meister und Spieler (um die es schließlich geht), wenn man sie mit Respekt behandelt und nicht in ein Handlungskonstrukt drängt, das ihnen nicht gerecht wird und dem sie ebenfalls nicht gerecht werden können. Die Umsetzung dieser Erkenntnis hat manchmal erfrischend gut geklappt, manchmal nicht so.

Doch mit einem Abenteuer ist es etwas anderes als mit einem Roman. Ein Abenteuer ist letztlich nicht mehr als ein Angebot, ein Script, das durch den Spielleiter nach eigenem Gutdünken abgeändert und durch das gemeinsame Spiel inszeniert wird. Mit dem, was hinterher auf der Bühne des Spieltischs geschieht, muss mein Werk wenig zu tun haben – eine großartige Eigenheit!

Wenn man offizielle Figuren in einem Abenteuer verwendet, geht man zwangsläufig nicht so sehr in die Tiefe. Zum einen, weil die eigentlichen Hauptpersonen der Geschichte jene sind, die man gar nicht kennt (die Helden der zahlreichen Spielrunden), zum anderen, weil auch der zur Verfügung stehende Platz beschränkt ist: Manchmal hat man nur eine Viertelseite oder gar ein paar Sätze, um eine Figur begreiflich zu machen. Zwischen dem Schreiben und der Rezeption befindet sich immer der Filter des Spielleiters und der Spielerfahrung.

Ein Roman ist definierter. Der Romanleser liest das, was ich geschrieben habe, wenn er nicht vorher das ungelesene Buch einem Freund für ein Cut-Up-Verfahren überlassen hat. Die Figuren handeln (beim Schreiben) zwar nicht immer so, wie ich es gerne hätte, aber sie machen es unbeeinflusst von verschieden gespielten Helden. Das macht es teilweise einfacher, teilweise nicht – vor allem, wenn es Figuren mit einer Rezeptionsgeschichte sind.

Niam von Bosparan etwa ist das erste Mal 1990 beschrieben worden, Pôlberra 1994 und beide sind in den zurückliegenden 21 bis 25 Jahren nicht nur von verschiedenen Autoren geformt worden, sondern auch von Begegnungen, die meine Leser mit ihnen gehabt haben können und die ich gar nicht kennen kann. Nun erfahren sie sie noch einmal anders, mit der Tiefe, die ein Roman seinem Autor gibt, um Figuren zu erzählen.

Für mich ist dies eine besondere wie schöne Herausforderung. Ich liebe und schätze diese Figuren und hoffe, sie mit dem angemessenen Respekt zu behandeln, so dass andere, die sie ebenso lieben und schätzen, sie gleichermaßen wiedererkennen und doch Neues an ihnen kennenlernen. Etwas Neues, das nicht fremd wirkt, sondern sie auf eine Wiese weiterentwickelt und vertieft, die ihnen gerecht wird.

Ob mir das gelingt, darf jeder im kommenden Jahr selbst beurteilen.