Gute Reise, ihr Narren!
Der Hofnarr saß am Wegesrand und wartete auf nichts. Sein Koffer stand neben ihm, der alte Hut lag auf dem Knie und der Narrenstab wirbelte zwischen den Fingern umher. So genoss er die Sonne, als der Zirkus vorbeizog. Er besah sich die wilden Tiere, die in ihren Käfigen dösten, die mit Spitze geschmückten Wagen und die bunten Schilder, die Weisheiten verkündeten wie »In allen 4 Ecken muss ein Clown drin stecken«, »Carpe Clown« oder schlicht »Wahnsinn«. Plötzlich stoppte der Zirkus. Aus einem der Wagen stieg der Direktor, drehte sich eine Zigarette und besah sich den Hofnarren. Nach einer Weile sagte er: »Ey, ich mag dich. Komm mit!« Und so kam der Narr zum Zirkus.
Er lernte den schillernden Rausch des Wahnsinns kennen und verliebte sich in die Eskalation. Er war dabei, als ein Universum geboren wurde, und lernte seine besten Tricks von dem bärtigen Baby. Nächtelang tanzte er zu der Leierkastenmusik des verrückten Vogels, er fiel auf die Scherze des betrunkenen Clowns rein und staunte über den stärksten Mann der Welt. Die Tiere spielten auf ihren Instrumenten wilde Lieder, zu denen er mit dem Schattenmädchen tanzte, während die Peitsche sein gefährlichstes Kunststück vollführte und sich die traurige Ballerina über den Köpfen auf Drahtseilen drehte. Die bärtige Frau adoptierte ihn sogar. Und er lernte viel über Eremiten, Sprichwörter fremder, fast unaussprechlicher Regionen und kollabierende Sterne.
In seinem Koffer, der nicht größer, aber tiefer wurde, vermehrten sich die Identitäten. Er wechselte sie häufiger als die Leute, die die Zirkusvorstellungen besuchten, ihre Kleider. Er selbst wurde Viele, ein Reigen leuchtender Eskalationsgestalten, die sich in ihrem Irrsinn gegenseitig zu überbieten versuchten. Doch ganz zum Schluss war er immer er selbst.
Reise folgte auf Reise, der Zirkus wuchs und die Bühnen wurden zu Palästen. Lächelnd stand der Narr inmitten des wilden Treibens, lächelnd blieb er eines Tages stehen, als der Zirkus seine nächste Reise antrat. Er verneigte sich tief vor seinen Freunden und sagte: »Ich gehe. Gute Reise, ihr Narren!« Dann nahm er seinen Koffer und tänzelte davon.
Ich tippe den letzten Satz, setze den Punkt. Der Hofnarr sitzt mir rauchend gegenüber und mustert mich mit seinem roten Karoauge. »Und nun?«, fragt er.
Ich zucke mit den Schultern. »Geht es weiter. Wohin, das werden wir herausfinden, wenn wir dort angekommen sind.«
Seine Augen bekommen dieses Funkeln. Ein Mundwinkel wandert nach oben. »Wir sind Vagabunden. Als ob es ums Ankommen gehen würde.« Er drückt seine Zigarette aus, erhebt sich und klopft sich das Konfetti von der Hose. »Du weißt, wo du mich findest.«
Über ein Jahr war ich nun mit dem Chapeau Club unterwegs. Es war eine wunderbare, erfüllende Zeit. Doch wie alles seine Zeit hat, um sich zu entfalten, ist es mitunter an der Zeit, es loszulassen.
Ich ziehe weiter.
Gute Reise, meine Freunde!