Rollenspiele boten immersive Erlebnisse, bevor Live-Events die Immersive Experience für sich entdecken. In den letzten Jahren sind Immersion und Gamification immer wichtigere Schlagwörter in der Eventbranche geworden. Das erlebe ich nicht zuletzt bei meiner Arbeit mit battleROYAL. Dabei benutzen wir Ideen und Mechanismen, die mir seit etwa 1994 sehr vertraut sind. Ungefähr damals bin ich in die Welt der Rollenspiele eingetaucht. Da beides so nahe beieinander liegt, ist dieses kurze Essay entstanden.

»Was machst du als Nächstes?«
Rollenspielgrundlagen für fesselnde Erlebnisse

In diesem kurzen Essay geht es nicht um Technologie. Es geht um Technik. Ich betrachte die Einbindung des Publikums in eine Immersive Experience aus einem anderen Blickwinkel: das gemeinsame Erzählen von Tabletop-Rollenspielen als Strategie für Veranstaltungen.

Wer mich kennt, weiß: Ich spiele bereits den größten Teil meines Lebens Rollenspiele. Ich bin ein Spielleiter mit über 25 Jahren Erfahrung und seit über 16 Jahren professioneller Rollenspielautor und -designer. Und dies wirkt sich auf meine Arbeit an Konzepten für Veranstaltungen und hybriden Events aus. Denn alles dreht sich um Immersion. Auch bei einem guten Spiel geht es um kollaboratives Geschichtenerzählen, persönliche Handlungsbögen und den Aufbau einer immersiven Welt.

Manche Leute denken bei Rollenspielen immer noch an Dungeons plündern, Monster erschlagen und Schätze bergen. Um ehrlich zu sein: Manchmal ist es genau das. Aber das Spieldesign hat sich schon lange weiterentwickelt. Der Schwerpunkt liegt auf gemeinschaftlichem Erzählen und gemeinsamem Erschaffen von Welten. Rollenspiele waren schon immersiv, bevor es den Hype gab. Und es lohnt sich, einen genaueren Blick auf dieses “nerdige Hobby” zu werfen und dabei ein paar Tipps für die Gestaltung von Veranstaltungen mit sich aktiv beteiligten Gästen zu gewinnen.

Kein Spiel ohne Entscheidungen

Entgegen der langläufigen Meinung ist das Würfeln nicht essentiell für ein gutes Rollenspiel. Natürlich ist es ein Teil des Spaßes. Aber worum es bei Rollenspiel geht, sind Entscheidungen. Die Spieler:innen treffen die ganze Zeit Entscheidungen. Wollen sie die verfluchte Ausgrabungsstätte betreten? Möchten sie wirklich ihren letzten Zaubertrank benutzen? Sollen sie ein Risiko eingehen oder fliehen? Als Spielleitung stelle ich vor allem immer wieder die gleiche Frage: “Was macht ihr als Nächstes?”

Entscheidungen erzeugen Beteiligung. Und Entscheidungen erschaffen eine Geschichte. Aber eine Entscheidung muss echt sein, damit sie sich sowohl auf die Spieler:innen als auch auf das gemeinsame Erleben auswirkt. Dies ist der Schlüssel zu gutem Spieldesign. Und diese Werkzeuge sind so simpel wie wirkungsvoll.

Keine Entscheidung ohne Informationen

Was macht eine echte Entscheidung aus? Die Grundlage sind immer Informationen. Wenn man nicht genügend Informationen hat, kann man keine richtige Entscheidung treffen. Man rät nur und hofft auf das Beste. Das ist jedoch keine Teilhabe, das ist Glücksspiel. Sorge dafür, dass die Teilnehmenden über genügend Informationen verfügen, um ihre Möglickeiten beurteilen zu können. Wenn du dir nicht sicher bist, ob sie genug wissen, gib ihnen einfach mehr. Es gibt kein Zuviel an Informationen!

Keine Entscheidung ohne Konsequenz

Aber Informationen sind nur ein Bestandteil. Der andere wichtige Teil liegt auf der anderen Seite der Entscheidung: die Konsequenz. Jede Option, die zur Auswahl steht, muss eine Auswirkung auf die Erzählung haben. Andernfalls spielt sie keine Rolle. Und wenn sie nicht wichtig sind, braucht man keine Wahl zu treffen. Wenn Option A für eine aufregende Wendung sorgt und Option B langweilig ist, ist das eine falsche Wahl. Insgeheim hast du die Teilnehmenden so manipuliert, dass sie in die von dir gewünschte Richtung gehen. Das kann funktionieren. Aber früher oder später werden sie den Trick durchschauen.

Was aber, wenn Option A zu einem spannenden Erlebnis führt, das man verpasst, wenn man sich für Option B entscheidet – und vice versa? Keine Entscheidung ist falsch, beide versprechen eine Belohnung, aber jede ist mit einem Preis verbunden. Jetzt ist es eine echte Wahl, die sich auf das gesamte Erlebnis auswirkt. Eine Gruppe kann sich hier vielleicht entscheiden, sich aufzuteilen. Das ist großartig! Und eine weitere Entscheidung mit einer nachwirkenden Konsequenz.

Auch eine solche Entscheidung kann man nur treffen, wenn man zumindest eine Vorstellung von den Konsequenzen haben. Wieder gilt: Information sind wichtig! Man muss wissen, was man bekommt und was man verpasst. Zeige es ihnen! Es gibt genug andere Gelegenheiten für Überraschungen, also halte dich nicht zurück, wenn es um die Informationen geht, die du im Vorfeld gibst.

Was sind Rollenspiele?

Das bekannteste Rollenspiel ist wohl Dungeons & Dragons, aber es gibt unzählige Rollenspiele mit unterschiedlichen Settings und Regeln. Jedes große Franchise hat oder hatte einen Rollenspiel, von Herr der Ringe bis Star Trek. Aber es funktioniert auch andersherum: Die Erfolgsserie The Expanse begann als private Rollenspielkampagne der Macher. Einige der beliebtesten Charaktere wurden vorher von den Freunden der Autoren gespielt.

Aber wie funktioniert es? Im Kern geht es um das gemeinsame Erzählen und Erleben von Geschichten. Alle Mitspielenden bis auf eine Person übernehmen die Rollen der Hauptfiguren der Geschichte. Die verbleibende Person übernimmt die Spielleitung. Sie verkörpert alle anderen Figuren der Geschichte, beschreibt die Welt, in der die Spielfiguren agieren, und stellt sie vor spannende Herausforderungen. Die Handlung entfaltet sich in abwechselnden Beschreibungen. Und wenn der Ausgang einer Szene oder Handlung ungewiss ist, entscheidet ein Würfelwurf über den weiteren Verlauf der Ereignisse. Werden unsere Held:innen Erfolg haben oder müssen sie sich neuen Hindernissen stellen?

Informationen – Entscheidung – Konsequenz

Worüber schreibe ich hier eigentlich – über Rollenspiele oder Veranstaltungen? Und spielt es eine Rolle, wenn es für beides funktioniert? Informationen, Entscheidung und Konsequenz sind die drei wesentlichen Elemente für echte immersive Erlebnisse, bei denen die Teilnehmenden das Steuer in die Hand nehmen. Und genau da beginnt der Spaß.

Nicht nur für die Teilnehmenden, seien es deine Spieler:innen oder aktive Gäste eines Events. Ich übernehme die Rolle der Spielleitung nicht nur, weil ich gerne Geschichten erzähle. Am spannendsten ist es für mich, die Geschichte loszulassen. Ich habe eine Vorstellung von meiner Erzählungen und möglichen Ergebnissen, aber ich habe nicht die Kontrolle darüber. Denn ich sitze nicht am Steuer, sondern meine Mitspielenden. Ich gebe nur Informationen und beschreibe die Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Was daraus entsteht, ist inspirierend, aufregend, unvorhersehbar und macht mehr Spaß, als ich je im Vorfeld planen könnte. Du solltest es ausprobieren!

Spielen, um zu lernen

Auf meinem Blog habe ich schon so manches Rollenspiel vorgestellt, zum Beispiel, was ich zur Zeit spiele oder meine liebsten Science Fiction-Settings. Hier sind noch weitere Empfehlungen für leicht zugängliche Rollenspiele, die deine Herangehensweise an die Konzeption von Veranstaltungen verändern könnten.

  • Microscope von Ben Robbins (in Deutsch beim Uhrwerk Verlag erschienen) ist ein Worldbuilding-Spiel für 2 bis 5 Spieler:innen ohne Spielleitung. Man erschafft kollaborativ eine Geschichte, die Wochen, Monate oder ganze Zeitalter umfassen kann. Ausgehend von festen Punkten und Ereignissen zoomen die Spieler:innen in die Ereignisse hinein und können die geschaffenen Details mit frei definierten Charakteren ausspielen. Die Zeit verläuft dabei keineswegs linear, sondern springt nach Belieben vor und zurück.
  • Electric Bastionland von Chris McDowall wurde als Rollenspiel entwickelt, das jede Person spielen kann. Besonders, wenn sie keine Zauberer:innen, Drachen und komplexe Regeln mag. Das Buch bietet außerdem großartige Ratschläge, wie man bedeutungsvolle Entscheidungen gestaltet. Aktuell gibt es das Buch nur auf Englisch, aber aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass sich eine deutsche Übersetzung in Arbeit befindet.
  • Dungeon World von Sage LaTorra und Adam Koebel (in Deutsch bei System Matters erschienen) ist hingegen für Personen, die Zauberer:innen und Drachen mögen, aber ebenfalls keine komplexen Regeln. Die Charaktererschaffung erfolgt über einen Multiple Choice-Charakterbogen. Anschließend wird die gesamte klassische Fantasywelt durch die Entscheidungen der Spieler:innen geformt. Verhängnisvolle Weiten ist eine wertvolle Ergänzung vom kollaborativen Worldbuilding.
  • Invisible Sun von Monte Cook ist sicherlich nicht für Einsteiger:innen, aber ein Meisterwerk immersiver Werkzeuge, Anreize und einer von den Spieler:innen gesteuerten Erzählung. Es ist eine beachtliche (finanzielle und zeitliche Investition), für mich jedoch ein echter Gamechanger.
  • Und solltest du Kinder haben, solltest du unbedingt So nicht, Schurke! von Shanna Germain und Monte Cook ausprobieren. Die deutsche Version gibt es ebenfalls beim Uhrwerk Verlag.