Wir spielten mal Kulturhauptstadt – Besetzte Bärendelle geräumt
Bis heute in den Morgenstunden hielt die Hausbelebung der leerstehenden Schule Bärendelle im Essener Westviertel. Nachdem schon seit Montag – dem ersten Tag der Belebung – eine Räumung durch die Polizei auf Wunsch der Stadt Essen im Raum stand, wurde diese ab kurz nach 6 Uhr morgens durchgeführt. Also zu einer Zeit, zu der man als Einsatzleiter annehmen darf, dass die Besetzer müde und die öffentliche Aufmerksamkeit gering ist.
Die Erklärung des Plenums Bärendelle, das sich für die Aktion verantwortlich zeichnet, liest sich wie folgt:
Wir, das Plenum Bärendelle, halten das ehemalige Schulgebäude an der Bärendelle in Essen besetzt.
Das Gebäude steht seit mehreren Jahren leer und wird, wie viele Leerstände im Ruhrgebiet, dem kontrollierten Verfall überlassen.
Die Stadt Essen hat keine Möglichkeiten mit dem Gebäude umzugehen: weder kann sie es bespielen, noch abreißen, weder renovieren, noch verkaufen.
Demzufolge kann nur der fortschreitende Verfall des Gebäudes verwaltet werden.
In der Bärendelle könnte ein selbstverwalteter & unkommerzieller Raum entstehen.
Durch die Schließung des JZE-Papestraße und die verfehlte Kreativquartierpolitik zeigt sich die Ablehnung gegenüber unkommerziellen und selbstverwalteten Räumen von institutioneller Seite.
Wir fordern alle auf, sich mit unserem Anliegen zu solidarisieren: In und vor der Bärendelle und überall sonst.
Unsere Aktion soll zudem ein Zeichen der Solidarität sein an alle, die eine Welt ohne Ausbeutung, ohne Krieg, ohne Herren und ohne Knechte wollen.
Mit der Räumung durch ein geradezu absurd übertriebendes Kommando hat die Stadt Essen nun erstmal ein Zeichen gesetzt, wie sie zu der selbstbestimmten Schaffung von kreativen Freiräumen steht. Vielleicht ist dies auch ein Ausdruck von Furcht, sich nicht vorführen lassen zu wollen, wenn junge Menschen Ideen und Initiative zeigen, aktiv gegen die kulturellen Missstände der Stadt vorzugehen.
Missstände beim Namen
Dabei sind solche Freiräume wichtig, und Essen hat sie nötiger denn je. Denn in der Stadt, die sich vor drei Jahren an die Spitze einer Kulturhauptstadt Ruhr stellte, muss man gründlich nach solchen Entfaltungsräumen suchen. Es gibt einige Einrichtungen, die jedoch zum Teil kommerziell sind, zum Teil mit Institutionen mit einer deutlichen Ausrichtung verbunden sind, und die nicht ausreichend der Vielfalt entsprechen, die man sich für eine Stadt dieser Größe wünscht.
Ich merke dies selbst immer wieder, wenn ich einen Probenraum suche, sei es für eine Lesung, ein Theaterprojekt oder ein Coaching. Wenn man ohnehin schon kaum bis gar kein Geld für seine kulturellen Projekte hat, fallen teure Mietoptionen weg. Was nicht heißt, dass ich für ein Recht eintrete, sich überall umsonst durchzubringen, aber eine schwierige Situation wird noch schwieriger. Und es ist ein Unterschied, ob ich für zwei Stunden Nutzen einen Kuchen backe, etwas in die Kaffeekasse schmeiße, ein paar Euronen auf den Tisch lege – oder gleich tief in den Geldbeutel greifen muss. Gerade, wenn man eben nicht größere Förderungen im Nacken hat und alle Beteiligten sich ohnehin schon selbst ausbeuten. Ähnliches gilt für Aufführungs- und Ausstellungsorte, denn den Vorteil einer bestehenden Infrastruktur – wie sie in der Bärendelle entstehen sollte –, darf man nicht unterschätzen. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das – nicht zuletzt aufgrund von Sparzwängen – selbst beim Wohlwollen der Institutionen nicht so einfach ist, wie es alle gerne hätten.
Nun bin ich recht gut aufgestellt, ich kenne viele Leute, die mich mal in ihrem Atelier oder ähnlichem proben lassen – wobei ich immer schon ein schlechtes Gewissen habe, diese lieben Menschen zu belästigen. Doch jeder weiß, wie schlecht die Situation ist, daher hilft man sich untereinander – andere Hilfe hat man selten oder sie ist mit derart hohen bürokratischen Hürden verbunden, das sie manchen abschrecken. Aber es gibt auch die Leute, die noch nicht vernetzt sind, kreative Menschen, die gerade erst zugezogen sind oder anfangen, ihr Talent auszuloten. Diese sehen sich mit Schwierigkeiten konfrontiert, die die Gefahr mitbringen, dass diese Menschen aufgeben, bevor sie überhaupt richtig anfangen können.
Daher sind Freiräume wichtig! Als Brutstätten kreativen Potentials, als Experimentierfelder, die auch ein Scheitern zulassen, die ohne große Hürden ein Ausprobieren erlauben. Orte, an denen auch mal Unkraut wachsen darf und die nicht wie sauber umzäunte Vorgärten daherkommen.
Die Bärendelle hat das Potential, ein solcher Ort zu sein.
Zuspruch und Widerspruch
Ich habe die letzten beiden Tage überwiegend in der Grünanlage vor der Bärendelle verbracht. Es ist bemerkenswert, welchen Zuspruch die Besetzer durch die Anwohner erfahren haben. Familien brachten Wasser und Lebensmittel vorbei, Anwohner sorgten für Zelte, Schirme und Abdeckplanen, als gestern das Unwetter losging. Es herrschte die friedliche und entspannte Atmosphäre eines Stadtteilfestes. Auch das ist durch die Absperrung des Gebäudes und der Grünanlage durch die Polizei erstickt worden.
Gerade vonseiten der Offiziellen wurde beklagt, dass es keinen Ansprechpartner gab. Das stimmt nicht ganz. Es gab (und gibt) eine offizielle Emailadresse (plenum.baerendelle(at)gmx.de), die man an den Transparenten am Gebäude ablesen konnte und die über alle Kanäle (Homepage, Facebook, Twitter) zu erfahren war. In dieses Neuland wagte sich aber offensichtlich niemand von den Offiziellen. Erhellend in dieser Hinsicht ist auch ein Bericht der Ruhrbarone:
[Essens Kulturdezernent Andreas] Bomheuer versuchte nicht mit den Besetzern oder ihren Unterstützern ins Gespräch zu kommen: “Die reden ja sowieso nicht mit uns.” Auf die Frage, ob er es denn versucht hätte, zuckte Bomheuer mit den Schultern.
Offensichtlich konnte die Stadt nicht damit umgehen, dass es nicht den namentlich bekannten Ansprechpartner mit einem Gesicht gab, sondern ein anonymes, aber dennoch mitteilungsfreudiges Plenum. Statt dessen zaubert man drei – bisher nicht bekannte – interessierte Investoren aus dem Hut, stellt nebenbei den Besetzern Strom und Wasser mit der Begründung ab, das Gebäude solle nicht mehr in Betrieb genommen werden, und gibt sich vor allem besorgt, es ginge auch um die Sicherheit der Besetzer, da das oberste Stockwerk einsturzgefährdet und nicht sicher sei. Was die Besetzer übrigens selbst wussten, weswegen die den Zugang nach oben abgesperrt hatten, wie das Plenum gestern am Rande der Nacht bekannt gab.
Die Anonymität rief durchaus auch Kritik bei Kommentatoren hervor:
Kann mir schon vorstellen wie das tolle künstlerische, oberkreative Programm des Hauses aussehen würde: Vegane Volksküche, Urban Gardening, Strick-, Mal- und Jonglierworkshops.
Mal wieder eine Aktion im Selbstzweck derer, die vor Sendungsbewustsein und auf der Suche nach Ausdrucksformen überquellen, in der Kunst aber zu nichts im Stande sind. Ich will sagen: Ja, es fehlt an kulturellen Anlaufpunkten zum selbst- und mitmachen (wie dem IvI in Frankfurt), aber daraus ergibt sich keine Solidarität mit jenen, die stets zum Anfang der Sommerferien (warum wohl?) ihren (erschreckend dogmatisch ausgelegten) Ferienkommunismus starten – und deren Kritik sich im “Dagegensein” schon restlos erschöpft.
Gerade diesem Statement muss ich – als jemand, der vorort war – widersprechen: Es handelt sich nicht um Leute, die in der Kunst nichts zustande bringen, sondern um Menschen, die wissen, womit sie tagtäglich zu kämpfen haben und dennoch etwas zustande bringen. Leute, die nicht bloß “dagegen” sind, sondern die für etwas eintreten und dafür bereit sind, ihre Verhaftung und eine Anklage zu riskieren.
Zudem wiederlegt gerad die Anonymität, dass sich da jemand profilieren will – es geht nicht um Partikularinteressen, hier will niemand seinen Namen, seine Gruppe, etc. in die Öffentlichkeit bringen, sondern unterschiedliche Menschen haben sich zu einer Bewegung zusammengefunden, um auf Missstände aufmerksam zu machen und etwas zu bewegen. Mit ‘Ferienkommunismus’ hat dies nichts zu tun – das sind Leute, deren Einstellungen nicht an Schulferien gebunden sind.
Der Zeitpunkt wird eher einen anderen Hintergrund haben: Das Wetter war schön und es haben mehr Leute Zeit, sich mit der Sache solidarisch zu zeigen. Was viele getan haben, die sich – mich eingeschlossen – viel Arbeitszeit zur Seite schauffeln mussten, um ein Zeichen zu setzen.
Und es geht darum, Zeichen zu setzen. So bequem es ist, aus der Ferne engagierten Bewegungen in anderen Ländern zu applaudieren, wir dürfen nicht wegsehen, dass sich auch vor unserer Haustür einiges in der Schieflage befindet – und wir müssen rausgehen und genau dort anfangen, uns zu engagieren. Die Räumung der Bärendelle darf nicht der Schlusspunkt sein, sondern muss uns den Anlass geben, uns noch stärker einzubringen und noch deutlichere Zeichen zu setzen, dass die Situation nicht zu bleiben kann und darf, wie sie ist.
Das letzte Zeichen hat die Stadt gesetzt: mit der polizeilichen Räumung der Bärendelle. Offensichtlich traut die ehemalige Kulturhauptstadt Europas nicht dem kreativen Nährboden, auf dem sie steht.
Nachtrag: Zu diesem Thema noch ein interessanter Kommentar der Ruhrbarone: ”Und die Räumpanzer singen: Geht doch nach Berlin wie die anderen”. Das Potential, die Leerstände zu nutzen, ist da. Nur die, die sich darüber Gedanken machen sollten – die Politiker – trauen sich nicht, und die, die sich darüber Gedanken machen und deren Umsetzung anpacken, dürfen nicht. Trauriges Ruhrgebiet.
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